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Buchcover: "Das Haus verlassen" von Kat Menschik & Jacqueline Kornmüller

"Das Haus verlassen" von Kat Menschik & Jacqueline Kornmüller

Stand: 06.05.2024, 07:00 Uhr

Gemäuer mit Eigensinn: Theaterregisseurin Jacqueline Kornmüller erzählt in ihrem von Kat Menschik zauberhaft illustrierten Buch von einem Haus, das nicht verlassen werden will. Eine Rezension von Andrea Gerk.

Kat Menschik & Jaqueline Kornmüller: Das Haus verlassen
Mit Illustrationen von Kat Menschik.
Galiani Berlin, 2024.
96 Seiten, 22 Euro.

"Das Haus verlassen" von Kat Menschik und Jacqueline Kornmüller

Lesestoff – neue Bücher 06.05.2024 05:10 Min. Verfügbar bis 06.05.2025 WDR Online Von Andrea Gerk


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Wer ein Haus besitzt, hat meist auch viele Geschichten zu erzählen: Von den Nachbarn, von misslungenen Renovierungsversuchen oder auch davon, wie er überhaupt an sein Haus gekommen ist.

"Den Glücksmoment, als ich das Haus erwarb, werde ich nie vergessen. Ich tanzte auf dem Stuhl. Das Haus war damals in einem erbärmlichen Zustand. Es war komplett verwahrlost und verkannt. Die umliegenden Bauern lächelten müde, als ich das Haus erwarb. Bruchbude, sagten sie zu dem Haus. Ruine."

Eine Ruine ist es aber längst nicht mehr. Über zehn Jahre hinweg hat die Erzählerin das alte Feldsteinhaus zum Leben erweckt, vom Kellergewölbe – in das sie ein "gewaltiges Bad" eingebaut hat – bis zum wildwuchernden Garten, den Kat Menschik in wunderbar komponierten Detailansichten einfängt: Mal zeigt sie einen Frosch in gedeckten Grüntönen, dann eine Tomatenpflanze mit üppigen Früchten, dann einen romantischen Sitzplatz unter einem Baum, an dem man sich sofort niederlassen möchte.

"Das Haus verlassen" von Kat Menschik und Jacqueline Kornmüller

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Doch die Erzählerin hat nun mal beschlossen, das Haus zu verkaufen und lädt schon die ersten Interessenten ein, um sehr schnell festzustellen – so einfach ist das nicht! Denn das Haus reagiert auf die Besucher – mal scheu und still, mal widerspenstig und forsch:

"Das Haus ist schlau. Nichts, das ihm entgeht. Es hält seine Poren und Ritzen offen, es reckt seine Steine und denkt nach, mit geschlossenen Augen. Es ließ den Innenminister wieder gehen. (…) Gewohnte Stille breitete sich aus und das Haus sah mich an. Willst du wirklich gehen? Willst du mich wirklich verlassen und verscherbeln. Ich sah dem Haus mitten ins Gebälk. Ich schwankte. Dann plötzlich klingelte das Telefon."

Nach dem Innenminister samt Familie, kommt erst "die Suchende", dann "die Frömmler" und schließlich "die Desinteressierten". Eine ganze Typologie von Immobilientouristen entwirft Jacqueline Kornmüller in ihrem so poetischen wie amüsanten Text, der im Übrigen – was ja bei einer Regisseurin kein Wunder ist – auch etwas von einem Theaterstück hat. Das Haus erweist sich dabei als Bühne mit Eigenleben, auf der die jeweiligen Besucher ihren Auftritt hinlegen, um dann aber wieder sanft vor die Tür geschoben zu werden.

"Die nicht, sagte das Haus. Okay, sagte ich."

Wie in jeder Beziehung scheinen auch bei dieser die „Eindringlinge“ von außen, die Verbindung zwischen dem Haus und seiner Besitzerin nochmal zu vertiefen. Die Idee, dass wir selbst es sind, die mit unserer Liebe zu den Dingen, die uns umgeben oder dem Raum, in dem wir wohnen, diesen beleben, wird in diesem Buch auf die schönste Weise lebendig. Überhaupt bringt das ganze Trennungsvorhaben komplexe Gedanken und Gefühle mit sich und entwickelt sich zu einem originellen Bewusstwerdungsprozess über Orte, das Daheim- und Unterwegssein:

"Ein Haus muss man lesen können. Was liest man denn? Man liest alle möglichen Versuche, am Leben gewesen zu sein."

Dass Kat Menschik in ihren wunderschönen Illustrationen meist Details in den Blick nimmt – mal sind es zwei Puppen in einem Regal, dann einzelne Tassen, die an einem Wandbord baumeln – verstärkt den intensiven Leseeindruck.

Schließlich spielt sogar das Ableben von Queen Elizabeth II. eine Rolle – beziehungsweise das uralte Ritual, bei dem der beekeeper die Bienen in den Gärten des Buckingham Palace darüber informiert, dass die die Königin gestorben ist und sie einen neuen Herrn haben:

"Das seltsame Ritual beruht auf einem alten Aberglauben, der besagt, dass das Verschweigen des Besitzerwechsels dazu führen würde, dass die Bienen keinen Honig produzieren, den Bienenstock verlassen oder sogar sterben würden. Und ich werde den Besitzerwechsel keinesfalls verschweigen, deklamiere ich. Ich werde dir in gedämpftem Ton wie Mr. Chapple mitteilen, wer deine neuen Bewohner sein werden."

Ob es dazu überhaupt kommt in diesem zauberhaften Buch, soll natürlich nicht verraten werden. Wobei es, selbst wenn man die ganze Geschichte schon kennt, immer wieder ein Genuss ist, den Text irgendwo aufzuschlagen und sich von Jacqueline Kornmüllers Sätzen weitertragen zu lassen in die verlockenden Bilder von Kat Menschiks, in denen man sich am liebsten – genau wie in dem Haus – eine Weile niederlassen würde.