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Buchcover: "Falcone" von Robert Saviano

"Falcone" von Roberto Saviano

Stand: 15.03.2024, 12:00 Uhr

Seit seinem Buch "Gomorrha" über die italienische Camorra steht Roberto Saviano mit seiner Familie unter Polizeischutz. Das hindert ihn nicht daran, weiter zu recherchieren und weiter zu schreiben. In seinem neuesten Roman hat er sich eine zentrale Figur des Antimafiakampfes in Italien ausgesucht: Richter Giovanni Falcone, der 1992 ermordet wurde. Eine Rezension von Mario Scalla.

Roberto Saviano: Falcone
Übersetzt von Annette Kopetzki.
Hanser, 2024.
544 Seiten, 32 Euro.

"Falcone" von Roberto Saviano

Lesestoff – neue Bücher 15.03.2024 05:30 Min. Verfügbar bis 15.03.2025 WDR Online Von Mario Scalla


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Ein 'Leben ohne Mafia', so heißt es am Schluss des Buches, das war die Utopie von Giovanni, wie Roberto Saviano ihn in seinem Roman meistens nennt, und das war auch die Hoffnung eines Teiles von Italien – aber eben: nur eines Teiles.

Falcone, 1939 in Palermo geboren, wurde 53 Jahre alt, ehe ihn die Mafia nach einigen gescheiterten Versuchen ermordete. Saviano steigt in das Leben seiner Hauptfigur ein, als diese schon mittendrin ist im Kampf. Er schreibt dicht, packend, mit vielen Dialogen, die die Arbeit der Ermittler, die Auseinandersetzungen innerhalb der italienischen Justiz und die Verbindungen bis in die hohe Politik hinein illustrieren – detailreich und mit geballter Recherchekompetenz. Vor allem kann Saviano die Arbeit von Falcone und seiner Kollegen in die Anti-Mafia-Strategien der Nachkriegsjahrzehnte einordnen. Dieser Richter nämlich hat etwas verstanden:

"Obwohl das Gewebe insgesamt verworren ist, gibt es einen Faden, der sie verbindet, immer derselbe. Er macht viele Windungen, manchmal wird er auch so dünn, dass er nicht zu existieren scheint, [...] aber er bleibt doch ein Faden. Ein einziger verfluchter Faden. Und der besteht aus Geld. Entlang der Geldbewegungen zu ermitteln, kann die entscheidende Methode im Kampf gegen die Mafiaorganisationen sein."

Falcones Leitlinie ist: "Follow the money". Er geht zu den Banken und erstreitet die Herausgabe von Unterlagen zu Umtauschgeschäften von Lire in Dollar. In den siebziger und achtziger Jahren lagen in Sizilien die wichtigsten Raffinerien Europas, das erlaubte die kreative Nutzung großer Öl- und Dollarströme zum Zweck der Geldwäsche. Falcone reist erfolgreich in die Vereinigten Staaten, um dort Spurensuche zu betreiben und Zeugen zu finden, die zur Aussage bewegt werden. Und eine zweite Veränderung im Kampf von Mafia und Rechtsstaat durchzieht diesen Roman, dieses Mal auf der Seite der Mafia.

"In der Via Pipitone Federico gibt es nichts mehr, was noch brennen könnte. Ein gewaltiger Donner hat die Palazzi von den Fundamenten bis zu den Dachterrassen erschüttert. Eine Explosion von obszöner Gewalt. Im Umkreis von vierhundert Metern sind alle Fensterscheiben zersprungen. Fünfundsiebzig Kilo TNT waren in dem Auto, das vor der Tür des Palazzos [...] explodierte. Roccos Alptraum, dass einer seiner Personenschützer mit ihm sterben muss, ist wahr geworden. Genau das wollte dieses Attentat sein. Ein Alptraum. Und eine Einweihung. Die Zeit der Bomben ist gekommen."

Die neue Generation lässt jede Zurückhaltung fallen. Vorher galt als ungeschriebenes Gesetz, dass keine Kinder umgebracht werden, so dass Richter sich mit ihren Söhnen und Töchtern ins Auto setzen und sicher sein konnten, am Zielort anzukommen. Damit war es vorbei, als Salvatore, genannt Toto Riina, die Regentschaft übernahm. Von da an wurde ohne Rücksicht ermordet, wer immer im Weg stand.

Aber Saviano beschreibt nicht nur ein Duell 'Ermittlungsrichter gegen Mafia'. Auch die Ränkespiele innerhalb der Richterschaft sind ein Thema. Wird der neue Vorgesetzte berufen, um die Ermittlungen zu sabotieren? Wer zieht im Hintergrund die Fäden? Ein Name taucht immer wieder auf, und das ist der von Giulio Andreotti, Premierminister der Democratia Cristiana und oberster Strippenzieher des Landes. Und mittendrin im Intrigenspiel steckt ein zunehmend frustrierter Richter:

"Falcone ist müde und glücklich. Das geht ihm durch den Kopf, während er in seiner neuen Wohnung am Tisch sitzt. In Rom ist seine persönliche Sicherheit weniger gefährdet als in Palermo, also kann er sich ein Stück Normalität gönnen. In Palermo hatte er jeden Tag das Gefühl, man hätte ihn auf die Straße geworfen, mitsamt den gepackten Koffern und der Aufforderung, so schnell wie möglich auszuziehen. Ein Zuhause hat man im Grunde dort, wo man sich aufgenommen fühlt."

Saviano hat eine Tragödie mit einem Helden geschrieben, der lieber keiner gewesen wäre. Man erlebt Falcone beim Triumph, als die großen Mafiaprozesse der achtziger Jahre zu vielen Verurteilungen führen, aber auch in Momenten tiefer Niedergeschlagenheit, wenn es zu Berufungen und Freisprüchen kommt, wenn er versetzt, bei Beförderungen übergangen wird. Und man spürt wie er leidet, als er merkt, dass es einsam um ihn wird, die Mafia sich reorganisiert und seine Arbeit mit immer neuen Manövern behindert wird.

Der Roman "Falcone" ist ein Trauerspiel über einen, der wusste, dass er ein Leben auf Abruf führt, aber von seinem Traum, einem Leben ohne Mafia, nicht lassen wollte.